kart., Lenos Verlag, Basel 2021,
Übersetzung: Anne Thomas,
208 S., 14,50 €,
ISBN 978-3-85787-823-7
geb., Aufbau Verlag, Berlin 2021, aus dem Englischen von Gesine Schröder, 496 S., 24,00 € ISBN
978-3-351-03857-1
geb., Blessing, München 2020, aus dem Engl. von Ingo Herzke, 254 S., 22,00 €,
ISBN 978-3-89667-667-2
geb., Blessing, München 2021, aus dem Engl. von Ingo Herzke, 303 S., 24,00 € ISBN
978-3-89667-718-1
geb., Blessing, München 2020, aus dem Engl. von Ingo Herzke, 288 S., 22,00 € ISBN
978-3-89667-666-5
Indigene Wirklichkeit in Kanada
Kanada war das diesjährige Gastland der Frankfurter Buchmesse. Abseits der grossen kanadischen Autor:innen
wie Margret Atwood oder Alice Munro schauen wir auf die Schriftsteller:innen der "First Nations",
wie sie sich selbst nennen. Und da gibt es einige Schwergewichte zu nennen!
Éric Plamondon - Taqawan
Das ist weit mehr als nur ein Krimi: Plamondon berichtet darin von der Lebenswelt der Mi‘gmaq und den
dunklen Seiten der kanadischen Indigenen-Politik. Es ist der 11. Juni 1981. Ein ganz normaler Tag, an dem
die Mi‘gmaq, die seit Jahrtausenden vom Lachsfang leben, wieder einmal ihre Netze auswerfen. Und ein ganz
besonderer Tag für Océane, denn schließlich ist es ihr 15. Geburtstag. Doch nicht nur aus diesem Grund wird
ihr und den anderen Angehörigen der Mi‘gmaq der Tag ins Gedächtnis eingebrannt bleiben: Als Océane mit ihren
Schulkameraden mit dem Schulbus Richtung Reservat fährt, stoppt man das Fahrzeug an einer Brücke. Von dort
aus können sie beobachten, wie die Polizei in einer brutalen Razzia die Fischernetze beschlagnahmt. Die
Fischer nehmen das natürlich nicht widerstandslos hin, viele von ihnen werden verhaftet und es gibt sogar
Tote. Doch damit nicht genug: Wenig später wird Océane vom ehemaligen Ranger Ives Leclerc schwer verletzt im
Wald aufgefunden, nachdem sie mehrfach von Polizisten vergewaltigt worden war.
Leclerc hat seinen
Dienst quittiert hatte, weil er nicht ertragen konnte, wie die First Nation auf ihrem autonomen
Stammesgebiet schikaniert werden, möchte dem verletzten und traumatisierten Mädchen helfen. Zusammen mit dem
Mi‘gmaq William, der als Einsiedler im Wald lebt, und von Ex-Freundin Caroline, einer desillusionierten
jungen Lehrerin aus Frankreich ermitteln die drei und enthüllen ein Netzwerk, bei dem auch die regionale
Polizei ihre Hände im Spiel hat…
Die Krimihandlung ist eher nur das "Mittel zum Zweck":
Denn der Roman basiert auf den auf den tatsächlichen Ereignissen des sogenannten "Salmon Raid" 1981 und
vermittelt tiefe Einblicke in die Lebensbedingungen der Mi‘gmaq und ihre jahrtausendealte Kultur. Éric
Plamondon, selbst gebürtiger Québecer, verknüpft die Geschichte der Kolonisation im Osten Kanadas mit dem
Kampf um kulturelle und politische Eigenständigkeit der "First Nations", die Kanadas Weiten weitaus früher
besiedelten. Dabei nutzt der Autor eine gekonnte Collagen-Technik - er fügt in die durchweg spannende
Krimihandlung kleine Essays und Erläuterungen zu ebendieser Geschichte der First Nations und der kanadischen
Regierungspolitik ein. Fesselnd, erhellend!
Ein besonderes Augenmerk haben
Louise Erdrich und Richard Wagamese
verdient - beide Autor:innen sind vielfach ausgezeichnet worden: Erdrich z.B. hat gerade in diesem Jahr
für ihren neuen Roman "Der Nachtwächter" den amerikanischen Pulitzer-Preis erhalten.
Wagamese
ist in diesem Jahr gestorben - er durfte aber noch erleben, dass nunmehr die Verbrechen an vielen Kindern
der First Nations regierungsamtlich eingeräumt und anerkannt wurden:
Mittlerweile wurden an katholischen Internaten hunderte (!) Gräber von Kindern gefunden, dabei handelt es
sich um ein Vorgehen der weissen Regierungen, die jahrzehntelang bis in die Gegenwart indianischen Familien
Kinder zur Umerziehung weggenommen haben, um sie in diesen Internaten, "Residential Schools"
genannt, einem Assimilationsprogramm zu unterwerfen.
Richard Wagamese hat darüber den Roman
"Der gefrorene Himmel" geschrieben. Weitere bereits auf deutsch erschienene
Romane sind "Das weite Herz des Landes" und "Der Flug des Raben". In all seinen Büchern
erzählt er rundum spannende und eindringliche Geschichten und versteht es so nebenbei die heutige Lebenswelt
sowie die Kultur und Geschichte der First Nation erlebbar zu machen!
(hn)