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Norris von Schirach - Interview

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Norris von Schirach

Das Interview

Norris von Schirach

Norris von Schirach

© Maxim von Schirach
Norris von Schirach

Fragen an den Autor

In Beutezeit liefern sich die Familien um den regierenden kasachischen Präsidenten Nasarbajew, der Westen und China einen erbitterten Kampf um die wirtschaftliche und geopolitische Vorherrschaft. Wie haben Sie die Gesellschaft und die politische Situation während Ihrer Zeit dort wahrgenommen?

In Kasachstan hielt ich mich ab Mitte der 90er Jahre regelmäßig auf. Auffallend war zunächst die irrwitzig hohe Korruption, die, so mein damaliger Eindruck, alle Facetten des Lebens dominierte. Insbesondere Regierungskriminalität war der groteske Normalfall und die Wenigen, die sich nicht bereicherten, wurden hierfür verspottet. Beinahe alles in Kasachstan war merkwürdig: 1991 erfindet sich ein letzter Generalsekretär der kommunistischen Partei neu, diesmal als Sultan eines der größten und rohstoffreichsten Länder der Welt. Die Konkursmasse der Sowjets wurde in ein Feudalsystem überführt. Gleichzeitig bildeten im Gegensatz zu anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion ethnische Kasachen im eigenen Land zu Beginn der 90er Jahre eine Minderheit. Diese gesellschaftlichen und politischen Folgen der dramatischen Zeitenwende strahlen auf meine Protagonisten aus.

Die Kontraste des Landes haben mich fasziniert. Das Grauen ist nie weit: In Karaganda hat sich laut Solschenizyn der größte Gulag der UdSSR befunden oder die mehr als hundert oberirdischen Atombombentests bei Semipalatinsk. Doch dann kommt man in die herrlich pulsierende Metropole Almaty mit ihrem Völkergemisch vor dramatischer Bergkulisse, wo China in den Nullerjahren die Ouvertüre zu dem gab, was heute die Weltordnung bedroht.

Ihr Held Anton ist ein Restromantiker mit moralischen Vorsätzen, die er aber angesichts seiner Situation und seines Umfelds nicht einlösen kann. Scheitert er an seiner Umwelt oder an sich selbst?

Anton wird schnell klar, dass er in dieser Kleptokratie früher oder später nur scheitern kann. Entscheidend ist der Grad seines Scheiterns, mit dem er nicht unzufrieden ist. Einerseits leidet er an der Ausgesetztheit in einem dieser freudlosen Polizeistaaten, andererseits trifft er auf all diese wunderbaren Typen, mit denen er sich verbündet. Es hat mich immer fasziniert, wie glücklich man an den schlimmsten Orten sein kann. Und vice versa.

Nach Putins Angriff auf die Ukraine hat sich Kasachstan als eine der ersten wichtigen Ex-Sowjetrepubliken von Russland losgesagt. Haben Sie damit gerechnet?

Präsident Tokajew, der Nachfolger Nazarbajews, agierte grotesk dilettantisch, als er zu Beginn des Jahres ausgerechnet Putins Truppen rief, um einen Aufstand in Kasachstan blutig niederzuschlagen. Naturgemäß war Russlands Überfall auf die Ukraine kurz darauf ein Weckruf für die gesamte Region, der zurecht in Panikattacken mündete. Jetzt hofft das kasachische Regime auf Hilfe aus dem Westen. Der sollte im Gegenzug auf Reformen bestehen, noch gibt es keinen unabhängigen Richter im Land und die Grenze zwischen Staat und organisierten Verbrechen verläuft fließend. Ironie der Geschichte: In dieser Beziehung orientierte sich Kasachstan über Jahrzehnte eher an Russland als am Westen.

Ihr Roman ist sowohl ein Gesellschafts- als auch Entwicklungsroman und erzählt von einer historisch und gesellschaftlich fremden Welt. Gibt es eine Botschaft, die Sie den Lesern vermitteln möchten?

In meinen Büchern finden sich keine vordergründigen Botschaften. Ich versuchte mit Beutezeit die Stimmung in Zentralasien während der Nullerjahre aus der Perspektive eines Außenseiters festzuhalten. Die Frauen und Männer darin versuchen mit unterschiedlichen Strategien in einem bizarren System zu überleben. Zwangsläufig fängt man bei derlei Biografien irgendwann an über Freiheit und Staatsversagen nachzudenken. Aber das ist beim Schreiben nicht meine erklärte Absicht. Zuallererst möchte ich gute Geschichten erzählen.

(Interview abgekupfert von Politycki & Partner)

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Zum Buch: Beutezeit


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